Drei Prinzessinnen und zwei Fragezeichen

Der Wartebereich von Japan Airlines unterscheidet sich nicht wesentlich von dem anderer Anbieter: Stille Reisende tippen auf ihren Handys herum, andere lesen Zeitung, vereinzelt tuscheln Paare, über ihre Reiseplanung gebeugt, um dann wieder in minutenlanges Schweigen zu verfallen. Wer noch circa 14 gemeinsame Flugstunden vor sich hat, wird vielleicht ganz automatisch erstmal sparsam mit den saftigen Themen. Lonely Planets sehe ich keine. Einen Backpack mit Dreadlocks mache ich aus, aber die junge Frau umweht der Wind der ersten großen Reise. Die Gymnasial-Augen sind rund und abiturfarben, die Dreads sind kurz und gepflegt zu einem strengen Zopf zurückgebunden. Sie hält sich an den Riemen ihres Rucksacks fest und ließt alle drei Minuten ihren Boarding Pass durch. Einen Unterschied zu anderen Wartebereichen mache ich dann doch aus: Es gibt hier einen unverschämt weitläufigen Spielplatz. Eine junge Japanische Mutter setzt ihre zwei Kinder aus, eine andere Mutter tut es ihr gleich und wie auf Knopfdruck purzeln drei winzige, pausbäckige Frottee-Prinzessinnen unter quakigem Geschrei durch die Halle in Richtung Klettergerüst. Bevor sie das Spielplatzmäuerchen überwinden halten sie inne und ziehen mit ernsten Gesichtern ihre Glitzersneaker aus. Dann setzen sie sich pflichtbeflissen hin, heben ihre Schuhe an und drehen sie feinsäuberlich um, für später, wenn sie zum Boarding wieder hineinschlüpfen werden müssen. Die jungen Mütter streifen ebenfalls Ihre Schuhe ab, drehen sie ordentlich um und steigen mit in die Arena. Der wunderbare japanische Brauch, auch im halböffentlichen Raum die Schuhe auszuziehen, in Aktion. Nicht nur Spielplätze in deutschen Flughäfen werden so zu unverhofften Inseln der Gemütlichkeit – Hotelkomplexe, Studentenheime und ganze Schulgebäude bekommen eine ganz besondere, menschenfreundliche Würde verliehen, wenn die äußere Welt an unseren Schuhsohlen im „Genkan“, dem traditionellen Windfang japanischer Häuser, zurückgelassen wird. Die kulturelle Wichtigkeit von Uchi und Soto, dem Drinnen und dem Draußen manifestiert sich nirgendwo sichtbarer als in dieser kleinen Alltagsgeste, die schon den Kleinsten als vielleicht wichtigste Hausregel mitgegeben wird. Ich setze mich zu ihnen, ziehe die Schuhe aus und verstecke mich hinter meiner Japankarte, um die zwei jungen Männer genauer beobachten zu können, die in meiner unmittelbaren Nähe stehen. Sie sehen sehr japanisch aus, aber ihr auffällig lässiger Habitus, die Sparsamkeit ihrer Bewegungen und ihre achtlos zusammengestellten Outfits lassen mich zweifeln. An ihren Rucksäcken baumeln Namensschilder: „Watanabe“ kann ich entziffern, in lateinischen Buchstaben. Japanischer geht es kaum, ich bin erstaunt und versuche zu lauschen. Ich verstehe buchstäblich kein Wort – ich kann die Sprache nicht mal zuordnen. Ein säuselndes Nuscheln, ein mehliges Kauen, nie im Leben ist das japanisch. Das Boarding wird eingeleitet und irritiert reihe ich mich hinter ein paar zierlichen japanischen „Salary Men“ in Maßanzügen ein. Die zwei Rätselhaften trotten zuletzt heran und postieren sich in gebührendem Abstand zu ihren Vordermännern am Ende der Reihe.

Hinterlasse einen Kommentar